Neues Nato-Kommando kommt wohl nach Deutschland  

  09 Februar 2018    Gelesen: 926
Neues Nato-Kommando kommt wohl nach Deutschland
 
Früher zählte es zum Repertoire der Nato, heute ist es jedes Mal aufs Neue ein Kraftakt: Gut ein Vierteljahrhundert nach dem Ende des Kalten Krieges sind die Verbündeten aus der Übung, was das Verlegen von Truppen und Material quer durch Europa angeht.
 
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Erst im Januar strandeten sechs amerikanische Panzerhaubitzen auf dem Weg von Polen zum bayerischen Truppenübungsplatz Grafenwöhr an einer Autobahnraststätte bei Bautzen. Die Polizei zog die Sattelschlepper mit den Panzern aus dem Verkehr, weil sie bis zu 16 Tonnen überladen und ihre Fracht zu breit war. Zudem fehlten dem polnischen Spediteur Transportgenehmigungen, einige seiner Fahrer hatten die Ruhezeiten nicht eingehalten. Nach mehreren Tagen ging es weiter. Abhilfe soll ein neues Nato-Kommando schaffen, das in voraussichtlich Deutschland angesiedelt wird.

In Nato-Kreisen heißt es, Verteidigungsministerin Ursula von Leyen habe schon im vergangenen Jahr die Bereitschaft erklärt, das Kommando in Deutschland aufzubauen. Die abschließende Entscheidung über den Standort wollen die Verteidigungsminister der Militärallianz bei ihrem Treffen in der kommenden Woche in Brüssel fällen. Das Kommando soll die Verlegung von Truppen und Material bereits planen und koordinieren, den Schutz von Soldaten und Waffen sicherstellen und für die Absicherung von Straßen und Häfen sorgen. Es wird nicht nur im Fall von Krisen tätig, sondern auch bei Manövern und Übungen. Das Kommando soll von der Gastnation betrieben und nur bei Bedarf der Nato unterstellt werden.

Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs war die Verlegung größerer Militärverbände lange kein Thema mehr. Die sehr konkreten Verteidigungsplanungen aus dem Kalten Krieg existieren heute nicht mehr. Aktuell wurde das Thema mit der Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim durch Russland 2014. Seither konzentriert sich die Nato stärker auf die Verteidigung - und seither fällt auf, was die Allianz in der Zwischenzeit verlernt hat. Das neue Kommando soll allerdings nicht nur Verlegungen in Richtung Osten koordinieren. Seine Zuständigkeit reicht so weit wie der Verantwortungsbereich des Nato-Oberbefehlshabers in Europa. Es kann alles steuern, was nach Europa kommt, in Europa bewegt oder in ein Einsatzgebiet außerhalb Europas verlegt werden soll.

4000 SOLDATEN, 2500 FAHRZEUGE, 900 WAGGONS

Einer der größten Fürsprecher für Deutschland ist der frühere Kommandeur der US-Truppen in Europa, Ben Hodges. “Ich kann mir kein anderes Land denken, das besser dafür geeignet ist als Deutschland”, sagte er im November. Für die USA sei Deutschland ohnehin das Sprungbrett innerhalb Europas. “Die meisten Soldaten, die wir in Europa stationiert haben, leben in Hessen, Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg und Bayern. Wir sind da zuhause.”

Der General ist auch derjenige, der am lautesten über die Zustände wetterte und eine Art militärisches Schengen-Abkommen für den freien Grenzverkehr von Truppen und Material forderte. Kein Wunder: Käme es zu einer Krise mit Russland, würden die USA mit ihren Truppen das Rückgrat eines Einsatzes an der Ostflanke der Nato bilden. Ein Großteil der amerikanischen Verbände mit ihren Panzern, Waffen und Material müsste dazu heute über den Atlantik aufs europäische Festland und dann über mehrere Landesgrenzen hinweg nach Osten verlegt werden. Im Kalten Krieg hatten die USA noch 400.000 Soldaten in Europa stationiert, heute sind es gut 60.000.

Einen Vorgeschmack auf die Mammutaufgabe bekam Hodges, als die USA als Reaktion auf die Ukraine-Krise Anfang 2017 eine Panzerbrigade mit 4000 Soldaten und 2500 Fahrzeugen zur Abschreckung nach Polen verlegten. Es war die größte Truppenverlegung seit Ende des Kalten Krieges: Das Material füllte 900 Eisenbahnwaggons, die aneinandergehängt eine Gesamtlänge von zehn Kilometern ergeben hätten. Die Bundeswehr half beim Umschlag in Bremerhaven und der Treibstoffversorgung, übernahm die Planung der Marschrouten und sorgte für Essen und Unterkünfte.

BATTERIEN LEER, BRÜCKEN ZU NIEDRIG


Einige der schweren Fahrzeuge der Amerikaner hätten allerdings nach der Verschiffung in Bremerhaven festgesessen, berichtete das “Wall Street Journal” damals unter Berufung auf US-Militärkreise. Die Truppe habe zunächst klären müssen, wie sie ihr Gerät nach Polen bekomme. Zudem seien bei einigen Panzern die Batterien leergelaufen gewesen. Schon zwei Jahre vorher waren demnach bei einer Übung in Rumänien mehrere gepanzerte Fahrzeuge an Brücken hängengeblieben und beschädigt worden. Die Durchfahrtshöhe habe sich als niedriger als erwartet erwiesen.

Dem Militär fehle es an detaillierten Informationen zur Infrastruktur in den östlichen Staaten, die früher zum Warschauer Pakt zählten und heute Teil der Nato sind, sagte Hodges der Zeitung. Die Armee müsse dafür sorgen, diese weißen Flecken zu beseitigen, um die Truppen in Europa wieder so rasch verstärken und bewegen zu können.

Wenn Militärverbände mit Panzern und schwerem Gerät an jeder Landesgrenze stoppen und zeitraubende Zollformalitäten erledigen müssten, ließen sich Zeitpläne nicht einhalten, bemängelte Hodges. “Russland könnte die baltischen Staaten schneller erobern als wir dort wären, um sie zu verteidigen”, sagte der US-General der “Zeit”. Er wünscht sich eine Vorzugsbehandlung unter anderem durch die Deutsche Bahn. Dies ist für ihn ein weiterer Grund, das neue Kommando nach Deutschland zu bringen, wo die Bundesregierung womöglich direkt Einfluss auf den Staatskonzern nehmen könnte.

DEUTSCHLAND ALS FLASCHENHALS AUF DEM WEG NACH OSTEN


Käme es tatsächlich zu einer massiven Truppenverlegung an die Nato-Ostflanke, wäre Deutschland die Drehscheibe: Einerseits dürften in deutschen Nordsee-Häfen wie Bremerhaven größere US-Verbände anlanden. Andererseits müssten auch die meisten anderen westlichen Verbündeten auf dem Weg nach Osten Deutschland passieren. Weil Deutschland aber ein Flaschenhals für jeglichen Transport sei, würden Probleme hier direkt auf die Lage in Polen, Rumänien und Bulgarien durchschlagen und die Verlegung von Truppen an die Ostflanke verzögern, warnte Hodges.

Die Bundesregierung jedenfalls scheint grundsätzlich bereit dafür, der Nato das neue Kommando zur Verfügung zu stellen. “Deutschland ist mit Blick auf seine Kompetenzen, seine Anerkennung im Bündnis sowie seine zentrale geografische Lage eine der Nationen, die als Rahmennation für die Aufstellung und den Betrieb dieses Kommandos grundsätzlich infrage kommen”, sagt ein Sprecher des Verteidigungsministeriums. Zu möglichen Standorten wollte er sich nicht äußern. Spekuliert wird über Ulm oder den Raum Köln-Bonn.


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